Drug Repurposing als Strategie im Kampf gegen COVID-19

Das Fraunhofer ITMP wendet »Drug-Repurposing-Strategien« in verschiedenen SARS-CoV-2-Projekten an. Hier berichten wir über die aktuellen Ergebnisse.

 

Nach den jüngsten Erfolgen in der Impfstoffentwicklung rückt die Entwicklung von Medikamenten gegen die COVID-19-Erkrankung in den Fokus. Medikamente werden dringend benötigt, um eine Behandlung für nicht geimpfte Bevölkerungsgruppen oder Personen, die nicht auf Impfstoffe ansprechen, zu ermöglichen. Zudem bietet die Therapieoption der Erkrankung einen möglichen Vorteil, wenn neue Varianten des Virus auftreten, für die die aktuellen Impfstoffe unwirksam sind.

 

Für die Medikamentenentwicklung ist die Kenntnis über die Mechanismen, die zur Entstehung einer Krankheit führen ein entscheidender Faktor - je besser das System erforscht ist, umso leichter lassen sich Ansatzpunkte für eine Therapie entdecken.

Da wir derzeit noch nicht vollständig verstanden haben, wie SARS-CoV-2 verschiedene Gewebe und Organe infiziert und wie dies zur Entstehung der Krankheit beiträgt, setzen wir sogenannte »Repurposing-Strategien« ein, um bekannte Wirkstoffsubstanzen auf ihre Wirkung gegen COVID-19 zu untersuchen. Diese Strategien, können nicht nur wirksame Substanzen für verschiedene Stadien der Krankheit identifizieren und deren potentiellen Nutzen als Kombinationstherapeutikum verifizieren, sondern auch zu einem besseren Verständnis der Krankheitsmechanismen beitragen. Zu diesem Zweck verwenden wir in unserer Screening- und Informatik-Infrastruktur Substanzsammlungen, die sich aus zugelassenen Medikamenten, klinischen und präklinischen Wirkstoffkandidaten, sowie weiteren kleinen Wirkstoffmolekülen (»small molecules«), die als sicher im Menschen eingestuft werden, zusammensetzen. »Small molecules« stellen nach wie vor die größte Medikamentengruppe dar, die bei fast allen Krankheitsindikationen zum Einsatz kommen.

Wir haben die »Repurposing-Strategie« im Kampf gegen COVID-19 sowohl im Rahmen von EU- und BMBF-geförderten Initiativen, als auch in internen Projekten im Rahmen des »Fraunhofer vs. Corona« Programms angewandt. Die ersten Ergebnisse aus diesen Projekten wurden bereits in verschiedenen Fachzeitschriften veröffentlicht und in einem Film zusammengefasst (Stand November 2020). Eine Substanz, die als generisches Medikament gegen Osteoporose zugelassen ist, wird aktuell in einer klinischen Studie für COVID-19-Patienten mit milden Verläufen getestet, für die im Sommer dieses Jahres eine erste Auswertung erwartet wird. Weitere Informationen zur Studie (nur in Englisch verfügbar) finden Sie hier.

Der Film zeigt unsere Strategie zur Repositionierung bereits bekannter Arzneimittel bei COVID-19 anhand unserer laufenden Forschungsprojekte. (Produziert von der Perspektive Media GmbH - November2020)

Publikationen zu unseren Projekten

Ein phänotypischer Repurposing-Screen zur Identifizierung von SARS-CoV-2-Inhibitoren

Erster Screen mit humanen Zellen, die mit einem Wuhan-Primärisolat des Virus infiziert sind.

 

Mit Hilfe der Fraunhofer ITMP Repurposing Collection, einer Sammlung von ca. 5.600 Substanzen die sich im klinischen Stadium befinden, identifizierten wir 258 Treffer, die die Zytopathizität von SARS-CoV-2 in der humanen epithelialen kolorektalen Adenokarzinom-Zelllinie Caco-2 um mehr als 75% hemmten. Die aktivsten Moleküle werden derzeit weiter untersucht und könnten zusätzliche Erkenntnisse über die Mechanismen von SARS-CoV-2 und mögliche therapeutische Strategien liefern.
Als Beitrag zu einer offenen Wissenschaftsgemeinschaft sind alle entsprechenden Datensätze öffentlich zugänglich (ChEMBL ID CHEMBL4303101). Die Bilddaten sind in »The Image Data Resource« (IDR) unter dem Identifikator idr0094 hinterlegt.

Identifizierung von Inhibitoren der enzymatischen Aktivität von SARS-CoV-2 3CL-Pro mittels eines Repurposing-Screens

Bestätigung der viralen Hauptprotease als therapeutisches Ziel.

 

Die SARS-CoV-2-Hauptprotease (3CL-Pro), auch als M-Pro bezeichnet, ist ein attraktives Wirkstoffziel, da sie eine zentrale Rolle bei der viralen Replikation spielt, indem sie die viralen Polyproteine pp1a und pp1ab an mehreren unterschiedlichen Schnittstellen spaltet. Im Rahmen unseres Repurposing-Programms haben wir zuvor berichtete Inhibitoren von 3CL-Pro bestätigt und 62 zusätzliche Verbindungen mit IC50-Werten unter 1 μM identifiziert. Eine Untergruppe von acht Inhibitoren zeigte eine antizytopathische Wirkung in einer Vero-E6-Zelllinie. Die Röntgenkristallstruktur des Komplexes aus einem der Inhibitoren und SARS-Cov-2 3CL-Pro wurde gelöst und zeigt eine kovalente Bindung an das katalytische Cys145.

Röntgen-Screening identifiziert Wirkort und allosterische Inhibitoren der SARS-CoV-2-Hauptprotease

Identifizierung von 37 repositionierten Medikamenten mit nachgewiesener 3D-Bindung an die SARS-CoV-2-Hauptprotease und Reduzierung der viralen Replikation.

 

Auf der Suche nach einem Medikament gegen COVID-19 haben wir einen röntgenkristallographischen Hochdurchsatz-Screen von zwei Repurposing-Medikamentenbibliotheken gegen die SARS-CoV-2-Hauptprotease (Mpro) durchgeführt, die für die virale Replikation essentiell ist. Im Gegensatz zu üblicherweise durchgeführten Röntgenfragment-Screening-Experimenten mit Molekülen geringer Komplexität wurden in unserem Screening bereits zugelassene Medikamente und Medikamente aus klinischen Studien getestet. Aus den dreidimensionalen Proteinstrukturen identifizierten wir 37 Verbindungen, die an Mpro binden. In anschließenden zellbasierten Assays zur Virusreduktion zeigten ein Peptidomimetikum und sechs nicht-peptidische Verbindungen antivirale Aktivität bei nicht-toxischen Konzentrationen. Wir identifizierten zwei allosterische Bindungsstellen, die attraktive Ziele für die Entwicklung von Medikamenten gegen SARS-CoV-2 darstellen. 103 Autoren, hauptsächlich aus Hamburger Wissenschaftsorganisationen, haben zu dieser Arbeit beigetragen. Darunter waren 5 Wissenschaftler des Fraunhofer ITMP, die wissenschaftlichen Input, Dateninterpretation und die Bereitstellung der Fraunhofer ITMP Repurposing Collection zu diesem Röntgenkristallographie-Screening beitrugen.

Die COVID-19 Ontologie

Elementare Ontologie für informatische Ansätze.

 

Die COVID-19-Pandemie hat eine beeindruckende, weltweite Reaktion der akademischen Gemeinschaft hervorgerufen. Um Text-Mining-Ansätze sowie die Beschreibung, Verknüpfung und Harmonisierung von Daten im Zusammenhang mit COVID-19 zu unterstützen, haben wir eine Ontologie entwickelt, die wichtige neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2)-Entitäten darstellt. Die Ontologie hat einen starken Fokus auf chemische Entitäten, die für das Repurposing von Medikamenten geeignet sind, da dies ein Hauptziel der laufenden COVID-19 Therapieentwicklung ist. Die Ontologie umfasst 2.270 Klassen von Konzepten und 38.987 Axiome (2622 logische Axiome und 2434 Deklarationsaxiome). Sie bildet die Rollen von molekularen und zellulären Entitäten in der Virus-Wirt-Interaktion und im Lebenszyklus des Virus ab, sowie ein breites Spektrum von medizinischen und epidemiologischen Konzepten, die mit COVID-19 in Verbindung stehen. Die Leistungsfähigkeit der Ontologie wurde an Medline und dem vom Allen Institut bereitgestellten COVID-19-Korpus getestet. Die COVID-19 Ontolgie ist unter einer Creative Commons 4.0 Lizenz veröffentlicht und wird über https://github.com/covid-19-ontology/covid-19 verbreitet. Die Ontologie ist auch im BioPortal unter https://bioportal.bioontology.org/ontologies/COVID-19 hinterlegt.