Wer oder was hat Sie dazu motiviert, in der Gesundheitsforschung zu arbeiten?
Es hat mich schon immer fasziniert, wie kleinste Vorgänge im Körper funktionieren. Der erste Einstieg in die »Welt der Moleküle« war im naturwissenschaftlichen Schulunterricht. Es eröffnete mir ein anfängliches und vorerst einfaches Verständnis davon, dass diese Vorgänge durch das (Zusammen-)Wirken von Molekülen bestimmt werden. Die Vorstellung, mithilfe kleinster Moleküle in diese Vorgänge einzugreifen, um damit Krankheitserreger zu bekämpfen oder Symptome zu lindern, hat mich sehr beeindruckt und war für mich eine treibende Kraft, das Chemiestudium zu beginnen. An meiner Faszination hat sich auch zehn Jahre nach dem Abschluss meiner Promotion nichts geändert. Sie ist ein wichtiger Teil meiner täglichen Motivation.
Inwiefern haben sich Ihrer Meinung nach die Dynamiken und die Relevanz in der Gesundheitsforschung in den letzten Jahren verändert? Und wie hat sich die Rolle von Frauen dabei verändert?
In der Gesundheitsforschung in Deutschland befinden sich Ausbildungswege und die außerindustrielle angewandte Forschung im Wandel. Die akademische Gesundheitsforschung wurde bisher als rein erkenntnisorientierte Forschung verstanden und klar von der Übersetzung in die Anwendung getrennt. Heute wagt sie sich weiter in die Anwendung vor. Im Rahmen von Public-Private-Partnerships und Open Innovation wirkt sie direkt auf die industrielle Forschung und Entwicklung ein, sodass ein Aufbrechen bestehender Innovationsstrukturen spürbar ist. Der Gesundheitsforschung am Fraunhofer ITMP bietet dies vielfältige Chancen, zu wachsen, das Wirkungsfeld auszuweiten und sowohl medizinischen als auch technologischen Fortschritt nachhaltig mitzugestalten. Gleichzeitig kommen in der Gesundheitsforschung eine Vielzahl verschiedener, teils noch junger Disziplinen zusammen und strukturelle Veränderungen finden statt, beispielsweise im Aufbau der Studiengänge.
Ich denke, dass diese Aspekte dazu beitragen, Ideenreichtum entstehen zu lassen. Denn so finden die unterschiedlichsten Menschen in der Gesundheitsforschung zusammen, was Interdisziplinarität und den gemeinsamen Austausch fördert. Frauen haben hier die Chance, Netzwerke zu bilden, in Teamstrukturen Wandel mitzugestalten und Vorbilder in Leitungspositionen zu sein und zu werden.
Woran genau arbeiten Sie zurzeit am Fraunhofer ITMP?
Im Discovery Research ScreeningPort am Fraunhofer ITMP in Hamburg arbeiten Biologinnen, Chemikerinnen, Chemo- und Bioinformatikerinnen und Datenwissenschaftlerinnen eng zusammen. Unser Forschungsbereich ist die frühe präklinische Wirkstoffforschung. Wir entwickeln zum Beispiel biologische Testsysteme, mit denen wir die Wirksamkeit einer großen Anzahl chemischer Moleküle in Bezug auf einen spezifischen Krankheitsfaktor bestimmen können. Damit zeigen wir Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Medikamente auf.
Meine Arbeit in Projekten des Zukunftsclusters PROXIDRUGS konzentriert sich aktuell auf die Errichtung einer »molecular degrader discovery«-Plattform. Diese vereint die verschiedenen, bei uns in Hamburg vorhandenen Expertisen, in dem sie Elemente der biologischen Assayentwicklung und des Hochdurchsatzscreenings mit informatischen Modellen und Vorhersagetools verbindet.
Welche weiteren Ziele stehen auf Ihrer Forschungsagenda und inwieweit spielt Ihre Arbeit eine Rolle im Privaten, in der Familie oder bei Freunden?
Die Proximitäts-induzierenden Wirkstoffe (Proxidrugs), zu denen auch die »molecular degrader« gehören, machen eine Klasse neuartiger Wirkstoffe aus. Neuartig, weil sie einen gänzlich anderen Wirkmechanismus als herkömmliche Hemmstoffe aufweisen. In der Forschungswelt gibt es neben den Proxidrugs auch weitere Ansätze, mit kleinen Molekülen neuartige Wirkweisen zu erreichen. Ziel ist es dabei, Krankheiten (besser) zu therapieren, für die es bisher nur ungenügende oder keine Wirkstoffe gab. Mit dem Integrieren der Proxidrugs in unsere Forschung mache ich derzeit wertvolle Erfahrungen, die ich zukünftig dafür nutzen möchte, um auch andere, neuartige Wirkstoffklassen in unser Portfolio aufzunehmen.
Hierbei finde ich auch den Austausch mit Freundinnen aus der Studienzeit spannend, die in ihrer jetzigen Tätigkeit völlig andere Aspekte der Gesundheitsforschung betrachten, beispielsweise die regulatorische Perspektive oder die einer Patentanwältin.
Was möchten Sie Frauen mitgeben, die in der Gesundheitsforschung anfangen möchten?
Verfolgt eure Interessen. Findet Menschen, die euer Potenzial erkennen und sich nicht sträuben, über den Tellerrand zu schauen. Vor allem: Fragt und redet mit.