Dr. Anastasia Geladaris im Interview für »Women in Science«

Dr. Anastasia Geladaris ist Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Translationale Neuroinflammation und seit der Gründung im Januar 2021 am Fraunhofer ITMP-Standort in Göttingen tätig. Neben ihrer Leidenschaft für die Wissenschaft setzt sie sich für Frauenrechte ein und praktiziert Thai-Yoga. 

© Neuropathologie, Universitätsmedizin Göttingen

Woran genau forschen Sie aktuell am Fraunhofer ITMP und wie beeinflusst die Erforschung des Immunsystems Ihrer Meinung nach die Entwicklung 
innovativer Therapien? 


Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Progression der Multiplen Sklerose (MS). Während früher die Schübe der MS im Fokus standen, weiß man heute, dass die MS vor allem schubunabhängig fortschreitet. Diesen Prozess nennt man Progression. Die Progression findet hierbei hauptsächlich innerhalb des zentralen Nervensystems (ZNS) statt und wird durch chronische Entzündungen im ZNS verursacht. Treibende Kraft der zugrunde liegenden Mechanismen der Progression sind unter anderem Mikroglia. Mikroglia sind angeborene Immunzellen im ZNS. Aktuell gibt es keine Medikamente, die für die Behandlung der Progression der MS zugelassen sind. Das hat unterschiedliche Gründe: Zum einen müssen die genauen Mechanismen, die zur Progression führen, besser verstanden werden, zum anderen werden Biomarker benötigt, die ein frühzeitiges Erkennen der Progression von MS ermöglichen. 

Daher ist es wichtig, solche Mechanismen, die im ZNS ablaufen und zur Progression der MS führen, besser zu verstehen. Nur so können Biomarker und neue innovative Targets entdeckt werden, um eine Therapiestrategie gegen die Progression der MS zu entwickeln. 


Welche Herausforderungen haben Sie als Frau in der Gesundheitsforschung erlebt und wie haben Sie diese gemeistert? 

Wie in vielen Bereichen ist meiner Meinung nach eine der größten Herausforderungen immer noch die Unterrepräsentation von Frauen, vor allem in leitenden Positionen. 

Das Fraunhofer ITMP am Standort Göttingen wurde im Dezember 2020 gegründet. Sowohl die Position der Standortleitung als auch alle Arbeitsgruppenleitungen sind männlich besetzt. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, warum es bei einem jungen Unternehmen zu so einem geschlechtsspezifischen Ungleichgewicht kommt. 

Dies ist eine Herausforderung, nicht nur für mich als Forscherin, sondern auch als Frau. Aus diesem Grund setze ich mich für Gleichberechtigung ein und dafür, dass sich die  Bedingungen für Frauen in der Wissenschaft zukünftig verbessern.


Was sind Ihrer Meinung nach die zentralen Schritte, die nötig sind, um die Gleichstellung in der Gesundheitsforschung nachhaltig zu fördern? 

Der erste Schritt ist es, sich ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Geschlechterungleichheiten in unserer heutigen Gesellschaft keinen Platz mehr haben. Das beginnt bereits mit dem Bewerbungsprozess, der unabhängig vom Geschlecht stattfinden sollte. Besonders Menschen in Führungspositionen sollten eigene internalisierte stereotype Rollenbilder erkennen und hinterfragen. Zudem sollte der Umgang mit den Themen Mutterschutz und Elternzeitmanagement in der Arbeitskultur gestärkt und gefördert werden. Die gleichberechtigte Aufteilung der Kinderbetreuung zwischen Eltern und die Sensibilisierung im Arbeitskontext für beide in gleichen Teilen würde Frauen dadurch im Wesentlichen weniger beeinträchtigen.


Was bedeutet für Sie Erfolg in der Forschung? Ist es der wissenschaftliche Fortschritt, die gesellschaftliche Anerkennung oder etwas anderes? 

Erfolg in der Forschung bedeutet für mich dazu beizutragen, dass es ein besseres Verständnis der Mechanismen der Progression der MS gibt und eine mögliche Therapie gefunden wird, um letztlich betroffenen Menschen mit MS zu helfen. 


Wie können Netzwerke und Mentoring-Programme Frauen in der Gesundheitsforschung unterstützen und welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich gemacht? 

Ich habe während meiner Promotion als Mentee an einem Mentoring-Programm für Frauen in der Wissenschaft in Göttingen teilgenommen und kann es nur empfehlen! Der Austausch mit Frauen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und Karrierestadien fühlt sich für mich selbstermächtigend und stärkend an. Auch die Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer Frauen zu lernen und Einblicke in ihre Prozesse und ihr Leben zu bekommen, ist ein Geschenk, für das ich sehr dankbar bin. Netzwerke sind wichtig, um sich für wichtige Themen wie Gleichberechtigung in der Wissenschaft einzusetzen.